C. Raaflaub: Gurnigelbad. Die Stadt im Walde

Titel
Gurnigelbad. Die Stadt im Walde


Autor(en)
Raaflaub, Christian
Erschienen
Thun 2018: Weber AG Verlag
Anzahl Seiten
332 S.
von
Roland Flückiger-Seiler

Die Heilquelle beim späteren Hotel Gurnigelbad war bereits im 16. Jahrhundert bekannt. Sie gehörte zu den zahlreichen heilenden Wassern, die in den Schweizer Alpen und Voralpen seit dem Mittelalter von einer nach Genesung und Vergnügen dürstenden Kundschaft aufgesucht wurden. 1591 entstand bei der Schwefelquelle ein erstes kleines Badehaus, das sich bis ins 18. Jahrhundert zu einem einfachen Kurhaus entwickelte. Die grosse Einsamkeit war für viele Gäste ein Pluspunkt, für andere ein Nachteil. So beklagte sich Jeremias Gotthelf anlässlich einer Kur 1853 über «ein Stück Langerweile am Halse».

Der eigentliche Aufschwung zum mondänen gesellschaftlichen Treffpunkt begann 1861 mit dem Kauf durch die berühmte Hotelierfamilie Hauser. Johann Jakob Hauser (1828 – 1891), der auch «König vom Gurnigelbad» genannt und in den Nationalrat gewählt wurde, verwandelte das einfache Kurbad in eine europaweit bekannte Hotelanlage mit mehreren Gebäuden. 1869 entwarf der damals noch junge Hotelarchitekt Robert Roller aus Burgdorf ein neues «Centralgebäude», das 1873 zusammen mit einer eigenen Gasfabrik eingeweiht wurde. Um 1900 galt das Gurnigelbad mit über 500 Betten als grösste Hotelanlage der Schweiz. Den Tannenwald rund um den Gebäudekomplex gestalteten die initiativen Eigentümer in einen grossartigen Naturpark um, sodass ein begeisterter Kurgast 1900 bemerkte, dass «die Wälder von Gurnigel noch schöner [seien] als selbst die von Baden-Baden und Marienbad».

Nach Hausers Tod kam die Hotelanlage 1892 in den Besitz einer Aktiengesellschaft, die das Haus erfolgreich weiterführte. In der Nacht auf den 1. Mai 1902 fand die ganze Hotelherrlichkeit in einem Grossbrand vorerst ein trauriges Ende. Wie ein Phönix aus der Asche entstand aber in knapp drei Jahren Bauzeit ein komplett neuer Hotelgigant nach Plänen des Berner Architekten Albert Gerster in Zusammenarbeit mit den Berufskollegen Paul Lindt und Max Hofmann. Der 240 Meter lange Hotelkomplex bot seinen Gästen alle Annehmlichkeiten der damaligen Hotelbaukunst, wie mehrere grosse Speise- und Festsäle sowie zahlreiche Privatsalons oder drei Personenaufzüge und eine Zentralheizung nach dem neusten Stand der Technik.

Nach erfolgreichen Jahren bis zum Ersten Weltkrieg bedeuteten die Kriegsjahre einen schweren Einbruch für das Hotel. Viele ehemalige Stammgäste blieben nun aus. In der Zwischenkriegszeit erwies sich die abgeschiedene Lage abseits der grossen Verkehrswege als Nachteil. Der Zweite Weltkrieg brach dem einst erfolgreichen Betrieb schliesslich das Genick. In den Kriegsjahren entschlossen sich die damaligen Besitzer zur Liquidation. Nach einer vorübergehenden Nutzung als Unterkunft für Internierte und jüdische Kinder hatten die Gebäude ausgedient. Zwischen 1946 und 1955 wurde die einst stolze Hotelanlage vom Militär abgebrochen. Übrig geblieben ist nur die frühere Dependance, der heutige Berggasthof Gurnigelbad.

Diese Geschichte vom Aufstieg und Fall des Grand Hotels Gurnigelbad findet sich in dem von Christian Raaflaub mit grossem Engagement zusammengestellten Buch bedauerlicherweise lückenhaft und häppchenweise verteilt auf über 300 Seiten und versehen mit vielen, teils vorzüglich, teils vom Verlag höchst unprofessionell reproduzierten Abbildungen. Zu Beginn stehen die Kapitel «Schwefelwasser und Suppe», «Essen und Trinken», «Musik und Geselligkeit» sowie «Massenlager für Minderbemittelte». Dann setzt die Geschichtserzählung ein, die sich offenbar auf wichtige Eckdaten aus der 1957 publizierten Dissertation von Adrian Jakob Lüthi bezieht 1 Die zahlreichen wertvollen Abbildungen, die der Autor in jahrelanger Sucharbeit zusammengetragen hat, haben leider nur wenig aussagekräftige Legenden erhalten. Das gesammelte Material hätte eine ideale Basis zu einem fundierten Buch über einen Hotelbetrieb ergeben, der bisher, mit wenigen Ausnahmen, 2 von der Geschichtsschreibung kaum beachtet wurde. Nach der Lektüre dieser schwergewichtigen Publikation bleiben viele Fragen unbeantwortet: Wie verlief die bauliche Entwicklung, die anhand des reichen Bildmaterials zumindest andeutungsweise dargestellt werden könnte? Wer waren die Besitzer und Betreiber dieser Anlage? Was erzählen die Reiseführer über das Haus und seine Gäste? Warum erhielt das Gurnigelbad nie eine Eisenbahnlinie? Völlig ausgeblendet ist auch die Publikation des Architekten Robert Roller von 1879, in der er das von ihm entworfene Erweiterungsprojekt präsentiert, sich aber auch viele Gedanken zum bestehenden Hotelbetrieb macht. 3 Der Leserschaft gibt das Buch punktuelle Einsicht in ein unglaubliches Hotelkonglomerat, das in der schwierigen Zwischenkriegszeit nicht mehr überleben konnte. Vielleicht werden die offenen Fragen später nochmals aufgegriffen und in einer Darstellung beantwortet, die den Blick auf die damalige Entwicklung im Hotel- und Kurwesen ausweitet und die das vorhandene Wissen in wissenschaftlich aufgearbeiteten Zusammenhängen anschaulich vermittelt.

1 Lüthi, Adrian Jakob: Die Mineralbäder des Kantons Bern. Wesen, Entwicklung und touristische Bedeutung. Inauguraldissertation Universität Bern. Burgdorf 1957.
2 Krebser, Markus: Thunersee linke Seite mit Kandertal, Niedersimmental und über Thun nach Gurnigelbad. Thun 1996, 210 – 233.
3 Roller, Robert: Ueber Hôtelbauten speciell Anlagen von Kur-, Saison- und Berg-Hôtels mit erläuternden Beispielen bewährter schweizerischer Etablissements. Erweiterter Separat-Abdruck aus «Romberg’s Zeitschrift für praktische Baukunst». Berlin 1879.

Zitierweise:
Roland Flückiger-Seiler: Rezension zu: Glanzmann, Jonas: Emmental. Eine Landschaft erzählt Geschichte. Langnau: Landverlag 2018. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 1, 2019, S. 62-64.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 1, 2019, S. 62-64.

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